Kinostart DE: 16.11.17 / CH: 23.11.17
Kinodokumentarfilm, Deutschland/Schweiz 2017, 100 Min.
Eine
Produktion von Fruitmarket
und Langfilm
in Koproduktion mit IIPM - International Institute of Political Murder
/ SRF Schweizer Radio und Fernsehen - SRG SSR / ZDF in
Zusammenarbeit mit ARTE. Im Verleih von Real Fiction und Vinca Film.
In mehr als 20 Jahren hat der Kongokrieg bereits über 6 Millionen Tote gefordert. Die Bevölkerung leidet unter einem Zustand völliger Straflosigkeit, die Verbrechen des Krieges wurden nie juristisch verfolgt. Viele sehen in dem Konflikt eine der entscheidenden wirtschaftlichen Verteilungsschlachten im Zeitalter der Globalisierung, liegen hier doch die wichtigsten Vorkommen zahlreicher High-Tech-Rohstoffe.
Für „Das Kongo Tribunal“ gelingt es Milo Rau die Opfer, Täter, Zeugen und Analytiker des Kongokriegs zu einem einzigartigen zivilen Volkstribunal im Ostkongo zu versammeln. Er lässt erstmals in der Geschichte des Krieges drei Fälle exemplarisch verhandeln und entwirft ein unverschleiertes Porträt des größten und blutigsten Wirtschaftskriegs der Menschheitsgeschichte.
„Das Kongo Tribunal“ beginnt, fast unvermittelt, mit den Bildern eines Massakers, dessen Zeugen wir zufällig während eines Recherche-Drehs wurden: des Massakers von Mutarule in der Nähe der Stadt Bukavu, das im Juni 2014 stattfand und dem über 30 Frauen und Kinder zum Opfer fielen. Es sind wohl die grausamsten und, zu Beginn, unverständlichsten Aufnahmen, die ich je gemacht habe. Denn warum dieses Massaker stattfand, darüber sagen sie nichts. Die gleichsam alttestamentarische Realität der aus 1000 solcher Massaker und Vertreibungen bestehenden ostkongolesischen Katastrophe, die bis heute über 6 Millionen Opfer gefordert hat, erklären sie nicht. Und dies ist der Grund, warum wir das „Kongo Tribunal“ durchgeführt haben: Um zu verstehen, warum Mutarule, warum all diese Vertreibungen und Massaker stattgefunden haben und weiter stattfinden. Was wir selbst, über unsere Zeugenschaft hinaus, damit zu tun haben.
Wenn ich mich von all den Theater- und Filmprojekten, die ich gemacht habe, für eines entscheiden müsste, dann wäre es „Das Kongo Tribunal“. In dem Projekt sind alle meine Interessen, aber auch alle meine Formate versammelt, die mich in den letzten 15 Jahren umgetrieben haben. Es handelt sich um ein theatrales Tribunal, bei dem aber alles echt ist: vom Minenarbeiter über den Rebellen und zynischen Minister bis zum Anwalt aus Den Haag spielen sämtliche Teilnehmer nichts anderes als sich selbst. Gleichzeitig entsteht in dem Film etwas, was eigentlich dokumentarisch gar nicht darstellbar ist: ein Porträt der Weltwirtschaft, eine sehr konkrete Analyse all der Gründe und Hintergründe, die dazu führen, dass der Bürgerkrieg im Ostkongo seit über 20 Jahren nicht aufhört. Und wer ein Interesse daran hat, dass das auch so bleibt.
Denn es mag zynisch klingen: Die infernalische Situation, wie sie sich in der Region um die beiden ostkongolesischen Städte Bukavu und Goma präsentiert, ist aus Sicht eines politischen Theater- und Filmemachers eine vielleicht einmalige Konstellation. Denn in dem Konflikt um Gold und Coltan zeigen sich so eindrücklich und exemplarisch wie wohl in keiner anderen Weltregion die menschlichen Kosten des globalen Handels mit Rohstoffen. Internationale Multis, durch Bestechung an ihre Gold- und Coltan-Konzession gekommen, vertreiben die Bevölkerung, und wer nicht von alleine geht, wird durch europäische oder amerikanische Monopolgesetze vom Markt gedrängt. Die entstehenden Konflikte aber werden, unter Aufsicht der UNO-Friedenstruppen, je nach Notwendigkeit von der kongolesischen Armee unterdrückt oder überhaupt erst provoziert.
In allen Produktionsphasen stellte „Das Kongo Tribunal“ so ein ungeheuerliches Unternehmen dar. Bis heute verstehe ich nicht ganz, warum der (später entlassene) Minen- und der (ebenfalls entlassene) Innenminister, mehr oder weniger direkt verantwortlich für das Massaker in Mutarule, an dem Tribunal teilnahmen. Wie es möglich war, dieses im Herz des Bürgerkriegsgebiets durchzuführen – vor 1000 Zuschauern, aufgezeichnet von 7 Kameras, an einem Ort, an dem es kaum genug Strom für ein paar Glühbirnen gibt. Und dass schliesslich nicht nur die kongolesische Regierung und ihre Opfer, sondern auch die Armee und Rebellengruppen, die UNO, die NGOs, die Vertreter der Weltbank und damit sämtliche westlichen Industrienationen vor die Schranken unseres Theatertribunals traten.
Mit dem „Kongo Tribunal“ versuchen wir, hinter die Fassade dieser gewaltigen „Fabrik“ des Welthandels zu gucken: einer Fabrik, die das Massaker in Mutarule und die Schächte der Coltanminen genauso einschliesst wie die Headquarters der UNO oder das europäische Parlament, in dem aktuell gut gemeinte, aber für die kongolesischen Minenarbeiter verheerende Gesetze zur Regulierung des Rohstoffabbaus diskutiert werden. Und bei all den im Film gezeigten Schrecken, bei aller Anklage geht es mir dabei vor allem auch darum, die Hoffnung nicht aus dem Blick zu verlieren. Denn wenn das „Kongo Tribunal“ eines bewiesen hat: Die Wahrheit kann gefunden werden, egal, wie kompliziert die Zusammenhänge sind. Und Gerechtigkeit ist möglich, hier und heute. Wir müssen sie nur herstellen.
Milo Rau, Autor und Regisseur